Julischka geht nicht gern zurück. Das war schon immer so, es kostete sie daher auch diesmal richtig Überwindung, nochmal in Darjeeling zu landen. So schön ist die Stadt nämlich auch nicht (mehr).
Eher völlig überfüllt. Vom gemütlichen Darap in Sikkim brechen wir am 31.10. auf in Richtung des Sommersitzes der früheren Kolonialmacht Großbritannien. An diesem Tag beginnt auch Diwali, das Fest der Lichter, vergleichbar mit unserem Weihnachten. Alle anderthalb Milliarden Menschen versuchen, nach Hause zu gelangen. Wer schon zu Hause ist, wirft Chinaböller durch die Gegend.
Das Reisen in eigentlich nah gelegene Städte oder Dörfer ist jedes Mal eine Tagesaufgabe. Die 75 Kilometer von Darap nach Darjeeling schreibt GoogleMaps mit über drei Stunden aus, reine Fahrzeit. In Jorethang muss man zusätzlich in einem völlig überfüllten, überaus chaotischem Parkhaus in einen anderen Jeep umsteigen. Der kommt aus Darjeeling und wendet hier im Prinzip nur, fährt aber erst los, wenn er voll ist. Von Darjeeling nach Jorethang will niemand, wir warten drei Stunden. Schwatzen mit Binayak, er wanderte gerade den Goachela Trek in Yuksom und empfiehlt uns schon mal für den nächsten Tag die besten Frühstücksgelegenheiten in Darjeeling.
Darjeeling ist für seinen Tee bekannt. Eng an die Spitze eines 2185 Meter hohen Berges gequetscht, wird die Stadt von super steilen Straßen und Treppen durchzogen und befindet sich, da die Indys nicht gern laufen, völlig im Griff von Dieselabgasen und ständigem Hupen. Der Traum Holger Zastrows, man fährt hier jeden Meter mit dem Auto. Entweder die indischen Mahindra-Jeeps, unverwüstlich scheinende Lastengefährte mit vollen Dachgepäckträgern und mindestens 10 Passagieren, manchmal deutlich mehr. Oder Maruti Suzuki Kleinbusse, der Schaltknüppel befindet sich zwischen meinen Beinen, da wir auch in der vordersten Reihe mindestens zu dritt sitzen, ich in der Mitte. Bitte bei der Sitzreihenfolge immer darauf achten: Die Frau platziert der fürsorgliche Mann an der Tür neben sich!
Die Busse gefallen mir – Allradantrieb, höchstens 1,20 Meter Innenraumbreite, als MicroVanlifeFahrzeug sicher ein Instagram-Traum. Wie die Jeeps unkaputtbar.
Wir gucken uns einen Teegarten an und heben die Laufstatistik Indiens deutlich an, haben aber erstmal Pech mit dem Wetter. Darjeeling liegt die ganze Zeit in den Wolken, es ist unangenehm feucht und kalt, die berühmte Sicht auf die höchsten Gipfel der Erde ein einziges Weiß. Es geht deshalb mit der gewohnten Langsamkeit weiter in das 25 Kilometer entfernte Maney Bhanjyang in den Singalila-Nationalpark, ein bisschen Wandern. Unerwartet schnell verbringen wir diesmal jedoch die nächste Nacht auf Westbengalens höchstem Gipfel, dem Sandakphu.
Das Wandern im Nationalpark ist seit ein paar Jahren – entgegen den Aussagen von verschiedenen Trekking-Büros in Darjeeling – nur noch mit Guide gestattet, mit 1500 Rupies/16 Euro pro Tag aber wenigstens preiswerter als in Sikkim. Und weil das in Indien nötige ständige Verhandeln, Überprüfen, Alternativen suchen und schnelle Entscheiden im Urlaub manchmal nervt, sagen wir einmal zu viel Ja und werden mit einem Jeep auf den Berg gefahren.
Drei Stunden dauert die Fahrt, 31 Kilometer sind es bis zu einer spartanischen, unbeheizbaren Hütte in 3636 Meter Höhe, bei der sich unsere deutsche Mentalität wundert, warum man es sich nicht etwas hübscher macht, wenn man hier Touristen haben oder zum Teil sogar wohnen will. Internet geht nicht, das nur als Info für etwaige Routenplanungen, es liegt nur Telecom Nepal an. Roaming-Pakete können wir bei unserem indischen Provider Airtel (2 GB pro Tag, 500 Rupies/5,50 Euro pro 28 Tage) mangels indischem Bankaccount nicht kaufen. Aber die Berge ringsum! Am nächsten Morgen kann man Mount Everest, Kanchendzönga und noch ein paar andere riesige, schneebedeckte Gipfel sehen.
Unser Pflichtguide Mingma ist Nepalese, 23 Jahre alt, schweigsam und straffen Schrittes unterwegs. Er kennt alle Einheimischen, verschwindet abends zu Bekannten feiern, verschätzt sich aber, als er mit uns illegal durch Nepal läuft, wo wir prompt an einem der dutzenden in den Bergen verteilten Checkpoints beider Staaten auf einen überengagierten Grenzsoldaten treffen. Vor uns noch mindestens 20 Minuten Nepal, hinter uns eine Stunde Nepal, steil bergauf. Wir haben kein Visum, es stehen auch nirgends Schilder „Sie verlassen jetzt Indien“ oder dergleichen, dafür ist der Guide zuständig. Warum man sich um die zwar hübsch anzusehenden, im Großen und Ganzen doch eher kargen Landstriche überhaupt streiten muss, sei erstmal dahingestellt.
Eine halbe Stunde sitzen wir in einem zugigen Raum, der nur einen Schreibtisch, ein paar Salatpflanzen auf den Fensterbrettern und unsere zwei Stühle enthält. Wir warten darauf, dass Mingma den Grenzer oder seinen dazugekommenen Kollegen, der nebenbei Wäsche wäscht, überredet, einfach ein Auge zuzudrücken und sich die Langeweile anders zu vertreiben als mit Bürokratie. Das klappt erwartbar durch die Zahlung von 500 Rupies, die in einem Nachbarraum für uns unsichtbar übergeben werden.
Nach insgesamt 28 Kilometern mit schwerem Rucksack, einigen weiteren indischen Checkpoints und dem üblichen Reis mit Dal und Bohnen fallen wir fix und fertig in Chitreys Homestay bei Tashi ins Bett. 19:00 Uhr ist aus unserem Zimmer nichts mehr zu hören.
Heute ist Montag, am Donnerstag startet unser erster Flug auf dem Weg nach Hause von Bagdogra nach Delhi, vorn dort dann in der Nacht zu Sonnabend nach München. Wir müssen bei den in Tagesreisen zu messenden Entfernungen also anfangen, ein wenig vorzuplanen. Auf Empfehlung Tashis checken wir in Darjeeling im Hostel „Tara‘s Circle“ ein, zwei nach Geschlechtern getrennte 10-Bett-Zimmer (😳, ausnahmsweise!) und ein Gemeinschaftsraum, der Darjeelings Jugend als geräuschvoller Treffpunkt dient. Na mal sehen.
Morgen vielleicht noch ein paar Shazams von nepalesischen Hits, wir haben im Zug nach Kurseong bestimmt ein bisschen Zeit.
Und wie sieht eigentlich ein Homestay aus?