Vor dem Kloster am Khecheopalri Lake liegt ein großer Haufen Sand auf einer gelben Plane. Einige Menschen schütten ihn mit Blechtellern und Schaufeln in leere Reis- und Linsensäcke. Ältere Bhikkhuni tragen diese dann in einen kleinen Raum unterhalb der Eingangstreppe zum Tempel, wo sie gestapelt werden. Und im Inneren des Tempels werden Mantren gesungen, Lautsprecher übertragen sie nach außen.
Ich beschließe, zu helfen.
Hier der Soundtrack dazu
Muskelkater haben wir diesmal nicht, obwohl wir am Vortag mit jeweils fünfzehn Kilo Rucksack auf dem Rücken von Yuksom nach Khecheopalri steil bergab, dann steil bergauf, dann wieder steil bergab und wieder steil bergauf gestiegen sind. Bei hundert Prozent Luftfeuchtigkeit, durch versteckt gelegene Siedlungen und dichten Dschungel. Richtigen Dschungel! Den ganzen Tag. Sobald wir stehenblieben, griffen Blutegel an. Die Einheimischen tragen deshalb goldene Gummistiefel. 😁
Das Sonam Homestay liegt nochmal oberhalb des Sees und ist sehr spartanisch. Keine Dusche, dabei klebt alles an uns, Hosen und T-Shirts kann man auswringen. Allerdings sehr leckeres Essen. Es ist zwar seit zwei Wochen jeden Abend dasselbe – Reis, Dal (Linsensuppe), gebratene Bohnen, Yakkäse in Peperoni-Sud mit Zwiebeln, ein frittiertes Ei oder gekochtes Huhn – aber genau deshalb merkt man sofort, ob jemand kochen kann oder nicht. Die Gastgeberin kann es! Alles Bio, definitiv gesund. Als Tshering Dorjee Lachungpa von Currywurst erzählt, tropft mir trotzdem der Zahn. Davon später mehr, erstmal helfe ich weiter beim Kloster.
Eine Stunde dauert es vielleicht, dann ist der Haufen weg. Wir sitzen ein wenig rum, die Mantren laufen immer noch. Hinter dem Kloster brennen mehrere Feuer. Dort werden die Toten gelabt, erklärt uns ein Mönch. Große Stapel brennendes Holz, es qualmt über das ganze Tal und den See. Die eben noch mühsam gefüllten und getragenen Säcke werden jetzt wieder aus dem Lagerraum unter der Treppe geholt, in einen Allrad-Pickup verladen und hierhergefahren.
Ihr Inhalt wird mit Blechtellern auf dem Feuer verteilt. Die ganze kommende Nacht, bis alles alle ist.
„Genauso wie wir lebenden Menschen leiden die Toten in der Ewigkeit Hunger und Durst. Wenn man sich im Leben auf Erden gut verhalten hat, findet die Seele unsere Feuer und kann sich am Rauch der auf dem Feuer verbrannten Speisen stärken. Seelen können ja nicht wie wir essen.“
Wir dürfen auch einen Teller auf den Flammen verteilen. Das, was ich für Sand gehalten habe, ist eine Mischung aus 36 verschiedenen Nahrungsmitteln aller Regionen Indiens, verschiedene Mehle, Nüsse, Reis, Linsen, Bohnen. Kein Körnchen ist ungenießbar. Warum der Pickup, der vermutlich vor ein paar Stunden den Haufen vor dem Kloster abgekippt hat, nicht gleich bis ans Feuer gefahren ist, vergessen wir vor Sprachlosigkeit zu fragen.
Am Abend findet sich bei Sonam ein weiterer Gast ein. Tshering Dorjee Lachungpa hat ein Reisebüro in Gangtok und bietet Touren durch den Himalaya an. Bevor er seine Gäste, die aus aller Welt kommen, in abgelegene Homestays schickt, testet er diese selbst. Klingt für mich nach einem ziemlich coolen Job! Er fährt dazu mit seinem Jeep durch Sikkim, läuft auch den einen oder anderen Trek, besucht Tourismus-Messen in Europa – daher die Currywurst, als wir uns über‘s Essen unterhielten. Er ist ein angenehmer, weltläufiger Gesprächspartner, wir lernen viel voneinander. Und er bietet an, uns am nächsten Tag in das knapp fünf Kilometer Luftlinie entfernte Darap mitzunehmen, was uns sehr gelegen kommt. Anderthalb Stunden Autofahrt, so verschlungen führt die Straße durch das aufgefaltete Gebirge.
Und hier sind wir gerade. Heute Vormittag hat uns der Betreiber des „Daragaon Retreat“ die malerischen Pfade durch das Dorf gezeigt und uns den Besuch einer Schulveranstaltung empfohlen, zwei Videos dazu sind auf WhatsApp und Telegram verlinkt. Seine Tochter hat Literaturwissenschaft studiert, von ihr bekommen wir hoffentlich noch ein paar Tipps zu zeitgenössischen sikkimesischen Schriftstellys. Im Gegenzug schreiben wir ihr ein paar Namen deutschsprachiger, aber ins Englische übersetzter Pendants auf – Sibylle Berg, Juli Zeh, Mariana Leky, Wolfgang Herrndorf fallen mir da ein. Falls in der Reihe jemand fehlt, bitte gern in den Kommentaren ergänzen, die lasse ich ausnahmsweise mal offen.
Jenny Erbenbeck
Ada’s Realm – Book by Sharon Dodua Otoo
Tupoka Ogette
Mithu M Sanyal
Liebe Grüße, ihr Reisenden!
Dankeschön!
Liebe Grüße zurück!