Ihr Lieben,
antizyklisch pinkeln lautet der Trick, um ein freies Flugzeugklo zu erwischen – der nur einen kleinen Nachteil hat: Meistens schlafen die Sitznachbarn, wenn man muss. Ich muss südöstlich des Baikals, laut Fluginfo. Mein erster Nachbar ist nachvollziehbar über der chinesisch und englisch untertitelten Heidi eingeschlafen, lange bevor das Kind zurück nach Frankfurt muss und der Almöhi in Trauer versinkt. Wir fliegen A380 mit gefühlt 5000 Passagieren, die Schlange beim Boarding in Shanghai Pudong war enorm.
China endet für mich also, wie ich es an allen möglichen und unmöglichen Orten erlebt habe: Mit schlafenden Chinesen.
„Miss Rottenweiler is a very distinguished person.“ 3 Stunden hat der Checkin gedauert, ich weiß nicht, wie oft das Gepäck heute durchleuchtet wurde, bevor es im Flugzeug verschwand, Frau Wang hatte uns gestern zum Glück gewarnt. Sie war unsere persönliche Führerin durch Shanghai, jung, wie alle nichtalten Chinesen, mit einem Deutschen verheiratet, hat Germanistik studiert. Von ihrem Deutsch kann ich mir noch eine Scheibe abschneiden. Mit ihr füllen wir im Zickzack durch die Stadt unsere Bäuche mit Dumplings. Bao Tse lautet das Ende ihrer Bezeichnung, den Hauptteil habe ich schon beim ersten Bissen vergessen. Es gibt verschiedene Versionen, der Teig umhüllt die Füllungen mal mit Brühe, mal ohne, es kann Hefeteig oder etwas ganz anderes sein. Perfekt gerundet rollen wir später an der gigantischen Skyline vorbei, sogar die Hochstraßen leuchten wie blaue Bänder, sie werden von unten angestrahlt.
Begonnen hatte der Tag mit einem Besuch der SSPU, der Shanghai Second Polytechnic University, auf dem Campus gibt es neben einer Schwimmhalle ein Stadion, Tischtennishallen, durchzogen wird er von Teichen und Flüsschen, in fünf Mensen kann man überprüfen, ob Dresden wirklich chinesische Küche zu bieten hat – eher nein, es gibt acht chinesische Küchen. Dresden bietet, was Dresdnern im Durchschnitt schmeckt. Einmal mehr frage ich mich, warum sich so viele Studenten Richtung Westen orientieren, China ist nach Japan und Russland schon das dritte Land, in welchem ich sofort studieren würde.
Schon deshalb, weil hier so schnelle Züge fahren. 431 km/h zeigt der Transrapid auf dem Weg zum Flughafen Shanghai Pudong, die Strecke München-Dresden würde auf eine reichliche Dreiviertelstunde zusammenschrumpfen. Noch bevor wir den riesigen chinesischen Boden wieder verlassen, bekomme ich Fernweh. Und denke über das Reisen im Allgemeinen und China im Speziellen nach.
Ich fahre gern ziemlich unbedarft herum. Meistens nehme ich mir vor, mich vorher mit dem Land oder der Region zu beschäftigen, das wird aber nur selten was, häufiger mache ich das danach. Ausprobieren vor Ort, sich dämlich anstellen, fragen müssen, mit Einheimischen auf engem Raum hocken, das sind die Dinge, die mir gefallen, auch wenn es manchmal anstrengend ist. Klischees oder vorgefertigte Bilder, die ich bestätigt sehen will, sind da eher störend. China ist für diese, meine Art zu reisen, sich treiben zu lassen, optimal geeignet. Die Menschen sind sehr freundlich, man fühlt sich immer sicher. Vorbedingung ist wahrscheinlich, dass man Menschen mögen sollte, an das Gute in ihnen glaubt und Vertrauen hat.
Genau mein Ding.
Bleibt gesund!
…kuss /mischenka