Ihr Lieben,
unterwegs von Guilin nach Hangzhou. Mit dem Nachtzug. Auf einem Sitzplatz. In einem überfüllten Abteil voller schnatternder Menschen, chinesischen Schlagern aus Handylautsprechern, der Zug selbst scheint auch noch über eine Art Radio zu verfügen, aus dem als Hintergrund chinesische Flötenmelodien tönen und natürlich gibt es verschiedene angenehme und unangenehme Gerüche, ganz schön warm ist es auch. Die chinesischen Sitze passen zwar zu meinem Hintern, deren Lehnen aber nicht zu meinem Rücken, Beine ausstrecken ist auch nicht, überall steht Gepäck herum. Abfahrt ist pünktlich 19:40 in Guilin, Ankunft wird am nächsten Tag 12:35 in Hangzhou sein, ungefähr 1600 Kilometer in 17 Stunden. Nun kann man sich fragen, warum ich mir das antue. Die Antwort ist einfach: Weil ich es nicht anders hinbekommen habe und weil es mich nicht stört. Wünsche ich mir.
Es gibt verschiedene Preisklassen, die noch dazu unterschiedlich schnell ausverkauft sind, so ein Waggon ist ja nicht aus Gummi. VIP, Softsleeper, Hardsleeper, Softseat, Hardseat. Ich habe das bekommen, was übrig ist und war allerdings auch nicht in der Lage, am „Verkaufsgespräch“ am Ticketschalter wirklich teilzunehmen. Sämtliche Pantomime versagte, Softsleeper hatte ich mir vorher aus dem Wörterbuch gefischt. Voll ist voll, so erkläre ich mir das. Nun ja, die Chinesen halten es ja auch aus.
Das alte Ehepaar neben mir unterhält sich mit den beiden Kindern und dazugehörigen Müttern gegenüber. Die Kleinen, vielleicht 3 und 4, quengeln und werden wohl bald einschlafen. Auch mit mir versucht man zu reden, es ist wie immer: Wir lachen, verstehen aber gar nichts voneinander. Nicht einmal Köln und Schuhmacher. Obwohl, nach einer Weile… Ich zeige ein paar Bilder meiner 4 Liebsten zu Hause, großes Staunen. Suche im Sprachführer nach Deutschland, meine Aussprache verstehen sie zwar nicht, aber die Zeichen im Buch. Déguó, 德国, im Prinzip spricht man es, wie es hier geschrieben steht, es dauert trotzdem, bis ich es hinbekomme. Der 4jährige interessiert sich sehr für alles, lässt sich von seiner Mama ein völlig zersplittertes Tablet geben und ich zeige ihm auf der Weltkugel, wo ich herkomme. Der Einfachheit halber stamme ich aus Berlin, das Maps-Äquivalent hat nur chinesische Zeichen und in unserer Sitzpreisklasse gibt es kein Wifi. Wieder und wieder großes Staunen. So zieht sich das noch lange hin, mein Muskelkater in den Backen vom vielen Grinsen macht sich wieder bemerkbar.
Alle 5 Minuten kommen Verkäufer durch die Gänge, es gibt Wasser, Tee, verschiedene heiße und kalte Dinge zum Essen, Milchkaubonbons. Überhaupt scheint Milch hier etwas besonderes zu sein. Fußmassagen kann man machen lassen, leider nimmt das Angebot niemand in meinem überblickbaren Umfeld an, ich hätte gern mal gesehen, wie das in der Enge gemacht wird. Der Zug hält oft, Leute steigen aus und ein, Gepäck wird über Kopf aus und in die Ablagen gehoben, etwas, wofür meine Hilfe gern angenommen wird. Ich komme dort hoch, ohne die Sitzbedeckung zurückschlagen, die Schuhe ausziehen und auf den Sitz steigen zu müssen. Und die ganze Zeit flötet es im Hintergrund. Zwei Stunden sind um, es ist 21:39, noch 15 Stunden.
Irgendwann fallen den Kindern die Augen zu, den Alten neben mir ebenfalls. Alles schüttelt sich zurecht, sinkt an Lehnen, Schultern, Fenster, die Musik ist verstummt. Schläfriges Gemurmel, hinter mir kreist eine bunte Flasche. Ich muss mal. Vorsichtig bahne ich mir einen Weg, möglichst ohne jemanden zu wecken. Die Zugtoilette ist erstaunlich sauber, ein Hockklo komplett in Edelstahl, leicht zu reinigen, das Loch führt direkt auf die Schienen, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Ich mag die Chinesen, das merkt man wahrscheinlich. Hoffe ich.
Bleibt gesund!
…kuss /mischenka