Ihr Lieben,
in Hangzhou, übrigens Partnerstadt von Dresden, bekomme ich das erste Mal in China schlechte Laune. Schuld ist ein Europäer: Der Tscheche hat nichts besseres zu tun, als die halbe Nacht laut Sprachnachrichten hin- und herzuschicken, sämtliche Interventionen von mir und anderen Zimmerinsassen, überwiegend Chinesen, zu ignorieren, bei offener Badtür unangenehm geräuschvoll permanent das Klo zu benutzen (tagsüber in China allerdings eher die Regel), sich dazu unglaublich cool zu geben. Naja, zum Glück geht es am nächsten Tag weiter nach Huangshan, von dort will ich ein, zwei Tage später – je nach Wetter, es regnet – in das gelbe Gebirge, das Huangshan-Gebirge, die Stadt ist danach benannt oder andersrum.
In Huangshan empfängt mich der Busbahnhof mit dutzenden Menschen, die mich Dinge fragen, Bustransfers ins gelbe Gebirge hauptsächlich. Ich winke aus europäischem Mißtrauen erstmal ab, dass es sich dabei um eine sinnvolle Sache handelt, wird mir später klar. Der Überlandverkehr in China ist auf den ersten Blick undurchsichtig organisiert. Man fährt viel Bus, an den Bussen stehen hauptsächlich chinesische Zeichen, die Busbahnhöfe können Ausmaße kleiner Flughäfen annehmen. Die permanent Fragenden sind schlicht die Kassierer der verschiedenen Linien, die einem das Leben einfach machen wollen. „Du willst weiter nach Honcun? Hierlang, setz Dich schon rein, kostet 20 Yuan.“ Der Bus fährt wie üblich los, wenn er voll ist, über den Tisch wird man nicht gezogen, es gibt feste Preise. Nachdem ich das gecheckt habe, wird das spontane Fahren nach Irgendwo deutlich einfacher, die Scouts sind laut, aber freundlich und versuchen immer zu helfen. Es reicht völlig aus, den Namen des Ziels verständlich sprechen zu können, einen Screenshot einer Karte, des Hostelnamens oder irgendeinen sonstigen Informationsfetzens zu zeigen, man kommt immer an. Sofern man die Zeichen an der Frontscheibe richtig deutet, kann man die Busse außerdem überall anhalten, Winken genügt.
Während des teilweise stundenlangen Sitzens unterwegs, lernt man, im kompletten Gegensatz zu Japan, automatisch Leute kennen, ob man will oder nicht – kontaktscheue Einzelgänger sollten China meiden. Oder schlafen bzw so tun.
Abends sitze ich mit ein paar Leuten von Überallher beim Bier und wir schwatzen über unsere Erfahrungen in China. Ohne zu Zögern sagen alle: Die Menschen. Jenseits jeder (westeuropäischen) Vorstellungskraft gastfreundlich, immer hilfsbereit, egal wen man fragt, egal in welcher Sprache. Sie sind die eigentliche Sehenswürdigkeit. Oft sind die einzigen drei englischen Worte, die sie beherrschen: ‚Welcome to China!‘ Die überwältigende Landschaft, nächtliche Skylines in Riesenstädten, elektrische Vehikel jeglicher Art, rasante Schnellzüge, das Essen – alles wunderbare Zugaben zu den eigentlichen Stars, den Chinesen selbst. Wir alle können uns weder über einen längeren Zeitraum chinesische Schriftzeichen an Bushaltestellen noch kompliziert auszusprechende Wörter merken, wir alle standen daher häufig völlig ratlos an Haltestellen, Bahnhöfen, mitten in der Stadt oder im Nichts. Wir alle hatten nie das Gefühl verloren zu sein, selbst wenn im Umkreis von 10 Kilometern kein lateinischer Buchstabe und keine arabische Ziffer zu sehen war – alles klärt sich immer. Irgendwie. Das einzige, was man tun muss, ist vertrauensvoll auf die Menschen zuzugehen.
Was für ein beschämender Gegensatz zu Deutschland.
China hat natürlich auch dunkle Seiten, als Ausländer fällt mir vor allem die permanente Überwachung auf. Metrofahren ohne Gepäckdurchleuchtung geht nicht, Bustickets, zumindest offiziell am Schalter gekaufte, sind wie Zugfahrkarten immer personalisiert, Reisepass bzw. bei Chinesen die ID-Card müssen immer vorgelegt und elektronisch ausgelesen werden. Das Fahrradausleihen findet über NFC-Karten statt, Ausgabe nur gegen Reisepass. Mich würde nicht wundern, wenn das Lesegerät, an welches man zum Aus- und Einchecken eines Rades die Karte hält, Namen und Start-/Zielstation an eine zentrale Stelle weiterleitet. Auf den Straßen bemerkt man an jeder größeren Kreuzung ein Blitzen, überall dort hängen Kameras und erfassen ständig alle Autonummern. Der Staat kann wahrscheinlich auf Knopfdruck den Aufenthaltsort eines jeden seiner knapp 1,4 Milliarden Einwohner und seiner ausländischen Besucher ermitteln.
Anders sieht es mit dem Intranet aus. In Hostels existiert meistens neben dem „normalen“ Wifi ein Facebook- oder Google-Wifi, genutzt wird es hauptsächlich von Ausländern. Chinesen benötigen es schlicht nicht, das abgeschottete Netz hat – so sehe ich das mittlerweile – vor allem eine monopolsichernde Funktion. Wie bei uns ist das Interesse vieler, sich außerhalb semigeschlossener Räume wie Facebook zu bewegen, gering. Es ginge aber, zig VPN-Anbieter stellen Server in Hongkong / Taiwan / Tokio oder sonstwo zur Verfügung, die meisten Chinesen, mit denen ich zu tun hatte, kannten diese Möglichkeit, halten den großen Rest des freien Internets aber für den täglichen Gebrauch als technisch zu unterentwickelt. Sie vermissen ihn schlicht nicht.
Bleibt gesund!
…kuss /mischenka