„Do I have to eat it all?“, frage ich Sukhman, der neben mir im perfekten Schneidersitz thront, während ich eher wie eine abgestürzte Ente wirke. Er versteht die Frage nicht. Vor mir steht ein Blechtablett und ein Blechnapf, ich bin einer von täglich bis zu 75.000 Verköstigten beim Langar Meal im Golden Temple Amritsar.
Sukhman ist schon fertig, ich habe dummerweise vor einer Stunde schon Nutri Kulcha (zum Rezept, lecker!) gegessen, I‘m pull.
Dann eben erst mal schnell ein Selfie und die Instagram-Adressen austauschen. Der junge Sikh ist schätzungsweise 17 und sieht fesch aus mit seinem orangen Turban, viel besser als ich. Mein Tuch gab es für 20 Rupies draußen vorm Eingang, es ist mir ein bissl zu klein.
Ich habe natürlich wieder meine Schuhe abgegeben, die Hände gewaschen, den Wassergraben durchschritten, später den Sikhs beim Baden im Nektarsee zugesehen und bin dann auf die Idee gekommen, mir das mit dem Langar Meal eben mal anzusehen.
Um so viele Menschen zu versorgen, sind eine ausgeklügelte Logistik und jede Menge helfende Hände nötig. Mehrere hundert, wenn nicht gar tausend Freiwillige übernehmen letzteres. Die Logistik sorgte dafür, dass ich – noch ehe ich „ähm, just a moment“ sagen konnte – ein Tablett in den Händen hielt, einen Löffel und einen Napf gereicht bekam und mit der Menge in einem großen Speisesaal landete, wo alle sich in Reihen hinsetzten. Am anderen Ende des Saales verließen Reihen Gesättigter die Halle wieder in geordneten Bahnen.
Der Reihe nach tauchen Männer mit Kübeln und Kellen auf, befüllen alles, drücken jedem ein, zwei Chapatis in die Hand.
Schmeckt alles gar nicht schlecht, ich verlinke mal für die Küchenfans, was beim Langar (en, siehe Punkt 4) rund um die Uhr – tatsächlich 24/7! – gereicht wird. Kostenlos, egal welcher Religion man angehört oder ob man das alles für Mummenschanz in bunten Gewändern hält – Hauptsache gewaschene Füße und Tuch auf dem Kopf.
Das muss natürlich alles auch wieder abgewaschen werden, wieder von hunderten Freiwilligen. Mit ohrenbetäubendem Lärm werden die Tabletts saubergeklopft, bevor sie nach mehreren manuellen Waschvorgängen wieder vorn am Eingang verteilt werden.
Der Respekt gebietet es, dass man alles aufisst, überhaupt blicke ich bei den Unmengen armer Menschen anders auf unsere mittlerweile schon „traditionelle“ Lebensmittelverschwendung im Westen.
Proppenvoll rolle ich zur Schuhausgabe, fasse noch ein paar WhatsApp-Nummern ab – ja, mein indisches Handy hat WhatsApp, das hat sich hier für Bustickets als wunderbar erwiesen – verabschiede mich erneut von Sukhman, den ich mit seiner Family unterwegs wieder treffe und falle kurze Zeit später im Hostel ermattet ins Bett.
Ansonsten waren einige weitere Tempel und Museen in den letzten Tagen in Bikaner und Amritsar auf dem Programm, weltbewegendes war nicht dabei. Mich interessieren eher die Leute, man lernt beim Durchstreifen der Städte schnell viele kennen. Die meisten arbeiten hart für wenig Lohn und sind unglaublich freundlich. „Sie leben für das Jetzt, denken nicht an morgen.“, versucht mir im Hostel ein in London lebender Besuchsinder zu erklären. „Deshalb bleibt vieles wie es ist, die Straßen schmutzig, die Luft verpestet, die meisten arm. Don’t judge it, they just live.“
Heute Abend geht es nach Macleod Ganj bei Dharamsala, also an den Fuß des Himalaya, dort ist es deutlich kühler.