Wie jedes Bretony hat mir natürlich auch Jean-Pierre – wir erinnern uns, C.G.Jung, Ying/Yang und Entenjäger – seine liebsten Orte der Bretagne genannt, mich förmlich genötigt, diese schon auf GoogleMaps als meine Lieblingsorte einzutragen , ohne je dort gewesen zu sein.
Zwei Tage später stehe ich in Pontorson nach ausgiebigen Einkäufen in der örtlichen Boulangerie an einer Ausfallstraße Richtung Saint-Malo. Neben mir ein Parkplatz mit ein paar Wohnmobilen und einem alten VW Bus. Die Sonne scheint, auf meinem Schild steht ‘Cancale’. Schon fragt mich der Fahrer dieses Busses, ob ich mitfahren will, er würde mich an einer geeigneten Stelle rauslassen.
Jacques ist ein alter Hippie, er war schon in Mexico, Kanada, in den 80ern in Syrien und was weiß ich noch wo. Heutzutage macht er kleine Performances als waschechter Bretone auf Marktplätzen. Er zwirbelt seinen Schnurrbart, setzt die Baskenmütze auf, klemmt sich ein Baguette unter den Arm und eine Gitanes in den Mundwinkel und läuft, kleinere Faxen machend, hinter Marktbesuchys her. Er will nach Dinan, leider nur 30 oder 40 Kilometer in meine Richtung. Er ist sehr angenehm. Wir wettern über den erstarkenden Rechtspopulismus und Rassismus in Frankreich und Deutschland, die Blödheit der Menschen, die durch ihre Sympathie für die entsprechenden Parteien keins ihrer dafür angeblich ursächlichen Probleme lösen würden. Reden über das Reisen, das Trampen, alte Busse, seine Perfomances, meine früheren Straßenzirkusversuche mit Jonglieren und Flöte. Gut, letzteres ist ein wenig übertrieben: Unter Straßenzirkus werden sich alle etwas größeres vorstellen als das, was ich damals vor 30 Jahren in Südfrankreich gemacht habe. Aber ich konnte ganz gut davon leben, nur mal so.
Jacques fährt einen Umweg, damit ich weiterkomme. Die letzten 10 Kilometer bis Cancale, einem pittoreskem Fischerort der für seine Austern bekannt ist, sitze ich neben einer vielleicht fünfunddreißigjährigen Frau, deren Peugeot alle 2 Minuten durchdringend piept und eine Fehlerlampe mit der Aufschrift „Freinage“ – Bremsen – aufleuchten lässt. Ich sähe sympathisch aus, hat sie gesagt, „tu a l‘air sympa“, normalerweise hielte sie nicht. Sie arbeitet als Kellnerin in Cancale.
Alle angehaltenen Autos kann ich hier nicht aufzählen, es war natürlich auch nicht jedes erwähnenswert. Es haben, wie zu erwarten war, nur nette Menschen angehalten. Nicht die teuersten Autos, öfter vollgepackt mit kaum noch Platz für mich und Rucksack, manchmal nur sehr kurze Strecken bis zu einer – hin und wieder nur in den Augen des Fahrys – besseren Stelle. Überwiegend Frauen, das hat mich erstaunt.
In Nantes traf ich Guillaume aus Lorient in der Bretagne. Wir hielten eine Weile für uns beide das gleiche Schild raus und zelteten hinter der Raststätte „Aire des Jardins de Villandry“ kurz vor Tours. Für ihn ging es weiter nach Grenoble, ich stieg in einen netten Tourbus der „Compagnie Raoul Lambert – Verrückte Magie und Gesang“. Wir lachten bis Bourges. Stand danach in sengender Hitze stundenlang, unsicher, ob die Straße die richtige sei bzw. was am besten auf dem Schild stehen sollte. Dann hielt Juliane, untypischer Name für Frankreich, mit ihrem klapprigem Iveco, in dem sie mit drei Hunden lebt. Die folgenden 300 Kilometer Musique electronique francaise vom allerfeinsten zogen sich meist schnurgerade durch französischen Sommernachmittag und über viele Stunden, von Goa über Slowpsy bis Dubstep. Herrlich.
Sound der Stunde: N‘GwA, DJ aus Nantes, kann ich gar nicht richtig einordnen.
Am nächsten Tag das komplette Kontrastprogramm. Ein Rentnerpärchen schunkelt mich mit 80 km/h auf der Autoroute du Soleil von der Mautstation „Peage Chalon sur Saone Sud“ nach Mulhouse. Wir halten immer nach rund 100 Kilometern. Mal werde ich ganz entspannt auf einen Kaffee an der Raststätte eingeladen, beim nächsten Halt wird der selbstgebackene Apfelkuchen ausgepackt und mit mir und einer ganz großen Nena-Fanin aus Straßbourg geteilt. Sie saß zufällig mit am Tisch, hat ihr ziemlich gutes Deutsch mit Nenas Texten gelernt und will nächstes Jahr am 3. Oktober nach Dresden – da tritt diese Chantreuse hier nämlich auf. Dass ich die nicht leiden kann, behalte ich für mich, ihre Augen leuchteten zu sehr.
Ansonsten ist Französisch angesagt, durchsetzt mit ein paar Brocken Englisch – und es gefällt mir alles außerordentlich gut. Und es ist Sommer.
Bis auf das Zelten. Nicht das Aufbauen, nicht das Schlafen – das Abbauen und Verpacken nervt. Nachts ist es ziemlich kühl, früh ist alles naß und darauf habe ich nach einer Weile keinen Bock mehr. Ich halte unter anderem noch einen Kifferbus mit zwei Punks an, in den anderthalb Stunden Stau bis Frankfurt am Main bauen die jeder mindestens 4 Tüten. Ich bleibe vormittags aber leider nüchtern. In Deutschland schüttet es. Ich will jetzt nach Hause.
Was in der Beschreibung ein bisschen zu kurz kommt, ist das Sightseeing. Ich war natürlich ausgiebig im Atlantik baden, die Bretagne ist wunderschön. Wandern sowieso, und wenn es manchmal auch nur mit schwerem Rucksack kilometerweit zur nächsten Stelle an der Straße war, quer über die Felder. In seiner Geburtsstadt Nantes gehe ich ins „Musee Jules Verne„. 2028 wird sein 200. Geburtstag hier sicher ordentlich gefeiert. Gucke mir „Les Machines de L‘Ile“ an, riesige mechanische Tiere im Steampunk-Stil, vom Kolibri über Spinnen bis zum Elefanten, der begeisterte Touristen durch die Gegend trägt und Schaulustige mit seinem Rüssel naß spritzt. Und weil ich mich vertrampe, lande ich nach Frankfurt auch noch bei Köln an der falschen A4 und gehe in den Dom.
14 Tage sind schnell zu Ende, sie kommen mir wie 4 Wochen vor. Ich hatte durchaus immer mal Sehnsucht nach unserem bequemen Bus mit Bett. Aber eigentlich ist dieses zwanghafte Socializen, das Kommunizieren müssen, das Kennenlernen vieler Menschen von der Tierostheopathin bis zum Goa-Girl herrlich. Mein Französisch hat ein paar mächtige Sprünge gemacht. Und Frankreich ist schon immer ein wunderbares Land, es wirkt sehr viel freier, anarchischer als Deutschland.
Mal sehen, ob und wie sich „faire du autostop“ in Zukunft wieder etwas öfter in das Reisen integrieren lässt.