Tokyo – Kagoshima

Menschenmassen und Shinkansen

Ihr Lieben,

nachdem ich am Freitagmorgen, mit eingeschlafenen Füßen nach dem langen Sitzen, auf dem Flughafen Tokyo Narita angekommen war, wollte ich zuerst mein Gepäck loswerden. Es war schwülwarm, der Rucksack schwer, eine Kameratasche und ein kleiner Immerdabeibeutel drückten zusätzlich auf die Schultern, zwei Jacken hatte ich über einem Arm hängen. Vom vielen Sitzen wollte ich nur noch sitzen, auch wenn das paradox erscheint.

 

Die Adresse des K’s Quality Hostel Tokyo Oasis – blöder Name – hatte ich, um dort hinzugelangen, fehlten Geld und Fahrschein für den Narita Express. Entgegen von Kennern vorhergesagten Ungemachs gab mir der erste Geldautomat 20000¥, was ungefähr 145€ entspricht, man kann auch grob sagen, dass 1000¥ 7€ sind. Davon kaufte ich mir eine Fahrkarte und wurde nach einem Fehlversuch von einem aufmerksamen Eisenbahner an den richtigen Bahnsteig gewiesen. Es gibt nämlich noch den Narita Sky Access, ich hatte unbewusst den preiswerteren gebucht, was mir in diesem Moment aber noch nicht klar war – das hatte ja die Fahrkartenverkäuferin für mich ausgesucht, ohne Alternativen anzubieten. Eine Viertelstunde saß ich auf dem Bahnsteig, der Zug kam, ich fand ohne Probleme den für mich reservierten Platz, beobachtete andere Reisende. Diese lagerten ihr Gepäck im vorderen Teil des Wagens, dort befanden sich dafür extra Boxen mit codegeschützten Kabeln, für die sicherheitsbewussten Europäer. Japaner stellen es ohne abzuschließen einfach ab. Mir ist mehrmals aufgefallen, wie sie ihr Gepäck auch im größten Trubel neben den Eingang zur Toilette abstellen, dort 5 min verschwinden und danach alles noch da ist. An vielen Stellen wird allerdings aus Sorge vor Terrorismus davor gewarnt.

Im Zug war es angenehm kühl, japanische Eisenbahnen, S- und U-Bahnen sind grundsätzlich klimatisiert. An jedem Sitz hängt ein Hinweis, wie man sich zu verhalten hat: Handy auf lautlos stellen, die Telefonierbereiche sind an den Enden der Waggons, klappern sie nicht laut mit Computertastaturen, es könnte andere stören. Zusätzlich wird alle 5 Minuten auf Japanisch und Englisch gebeten, auf den Weg und nicht nur auf dass Smartphone zu starren. Ganz Tokyo glotzt nur auf die Dinger, spätestens wenn man sitzt oder an einem Ort steht. Die meisten lesen damit oder spielen.

Da saß ich nun und stellte bald fest, dass der Zug in dem ich saß, nicht derjenige war, der in der Wegbeschreibung zum Hostel angegeben war. Die Stationen auf den Anzeigetafeln im Zug tauchten in dieser Anleitung nämlich nicht auf. Google war auch nicht verfügbar, leichtes Unwohlsein beschlich mich. Nicht dass ich mich vorm Verfahren fürchtete, aber wenn dann bitte ohne das ganze Gepäck. Da die Richtung stimmte, fuhr ich bis zum Bahnhof Tokyo, stieg dort in eine S-Bahn und später noch mehrmals um. Das Verkehrssystem ist darauf ausgelegt, täglich Millionen mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattete Menschen in gigantischen Strömen durch die Stadt zu leiten. Da stört jeder, der nicht kapiert wie es funktioniert, weshalb die Leitsysteme grundsätzlich zweisprachig ausgelegt und sehr durchdacht sind. Es scheinen Milliarden unterwegs zu sein, Bahnhöfe wie Shinjuku, Shibuja oder Tokyo haben 12 Bahnsteige nebeneinander, nur für S-Bahnen von Japan Railways, daneben noch 20 für den Shinkansen. Es gibt zusätzlich kleinere Betreiber, deren Tickets untereinander nicht kompatibel sind, es wird aber überall freundlichst geholfen. Das ganze ist in mehreren Ebenen unter- und oberirdisch organisiert. Ich hatte öfter das Gefühl, dass ich aus einem Zug aussteige, stur den Schildern folge, Treppe runter, an hunderten Fressbuden gemeinsam mit den Massen vorbeieile, noch eine Treppe runter, Kurve, wieder zwei Etagen hoch, 300m geradeaus, Treppe hoch, nur um auf dem gleichen Bahnsteig weiter vorn und auf der anderen Seite wieder anzukommen. Ist aber nicht so, ich habe extra mal aufgepasst.

Im Hostel ist erst ab 16:00 Uhr Einchecken, ich kann aber schon mein Gepäck ins Zimmer stellen und lerne dabei Kei kennen, die gerade saubermacht. Sie lacht die ganze Zeit, fragt mich aus dem Klo, wo ich herkomme, kennt in Europa nur London, Paris und Berlin, bringt mir ein paar Worte bei, die ich schon wieder vergessen habe, während ich meinen Kram in eine Box unter dem Bett stopfe. Eine Viertelstunde später stehe ich wieder im Gemeinschaftsraum des Hostels, gehe nochmal pullern und will in die Stadt.

Das Klo reizt zum Rumprobieren. Es hat an der Seite ein Bedienpanel, darüber kann man Musik oder Klospülung abspielen, den Hintern waschen und beduften lassen, Raumspray versprühen. Als ich spüle, warte ich lieber noch eine Weile, da ich mir nicht sicher bin, ob es von alleine wieder aufhört, auf den Stopknopf am Panel hat es nicht reagiert. Klappt trotzdem, die deutsche Wassersparmentalität ignoriert es eben.

Komischerweise verschlägt es mich zuerst in ein riesiges Elektronikkaufhaus am Bahnhof Akihabara, wo ich für zwei Stunden erstmal hängenbleibe. Es lohnt sich nicht, einen Klositz von Panasonic, andere Geräte oder von unseren Kindern heiß begehrte Dinge wie Pokemonkarten zu kaufen, entweder passen sie nicht zum deutschen Stromnetz oder sie sind komplett in Japanisch gehalten, meistens beides. Ich nehme aber ein USB-Ladegerät für japanische Steckdosen und ein Ladekabel für den Kameraakku mit, im Hostel war mir aufgefallen, dass die deutschen nicht passen und auch nicht passend gebastelt werden können.

Tokyo ist ein riesiges Kaufhaus mit angeschlossenen Schlafstätten für insgesamt 37 Millionen Menschen. Ursprünglich bestand diese Region aus mehreren Städten, deren Grenzen aber vor allem im 20. Jahrhundert verschwammen – wenn man nach Yokohama fährt, merkt man beim Blick aus dem Fenster kein einziges Mal, dass man die Stadt wechselt. Im Hostel erklärte man mir später, dass man alles im Prinzip Tokyo nennt, auch wenn Chiba oder eben Yokohama eigentlich verwaltungstechnisch eigenständige Millionenstädte sind. Diese Menschenmassen sind mir am meisten aufgefallen.

In den folgenden anderthalb Tagen lasse ich mich durch die Stadt treiben, esse ab und zu mal etwas, meistens weiß ich vorher nicht was, vor allem roher Thunfisch mit Reis hat es mir dabei besonders angetan. Es gibt kaum dicke Japaner oder Japanerinnen, das Rumgehampel mit den Stäbchen führt wahrscheinlich dazu, lieber nur kleine Portionen zu bestellen. Dafür ist die Kieferorthopädie hier noch nicht so weit. Einen Shinto- oder Buddhaschrein sehe ich mir an, damit nimmt man es hier nicht so genau. Interessant, aber mit Religion habe ich es nicht so. Die dazugehörigen Gärten mit ihren Koikarpfen sind sehr schön. Vor allem abends blinkt und flimmert es aus riesigen Monitoren, vor jedem Laden brüllen Anpreiser, die Massen fließen hin und her oder starren auf ihr Handy, ich will aber erstmal nichts kaufen, ich habe ja alles. Ich aktiviere meinen Japan Railway Pass und breche Sonntagmorgen 5:30 Uhr auf zum Bahnhof, der Shinkansen Hikari 461 wird mich nach Kobe und von dort der Sakura 553 nach Kagoshima bringen.

Das sind schon coole Züge, die Bahnsteige sind mit extra Absperrungen mit automatischen Türen versehen, weil der auch durch die Innenstadt mit mindestens 150 km/h rast. Ist er außerhalb, beschleunigt er noch einmal und wenn man denkt, wow, das Ding ist wirklich schnell, drückt es einen auf einmal in den Sitz und Japan zischt mit 300 am Fenster vorbei. Fast 1500 km in 6 Stunden, und er hält ja zwischendurch noch an.

Und da sitze ich gerade und schreibe, gerade fahren wir aus Hakata heraus, der Schaffner kommt.

Bleibt gesund!

… kuss /mischenka